Der Umsatz bricht weg! Der Vertrieb ist schuld!

Warum sind wir uns so sicher, dass wir mit unserer Meinung richtig liegen?
Oder, warum es sich manchmal lohnt, neugierig zu fragen: „Woher wissen wir das eigentlich?“
Der Umsatz bricht weg. Das beobachtet der Geschäftsführer. Der Vertrieb ist schuld. Können sich nicht durchsetzen. Da werden nun Zeichen gesetzt. Bis hin zu Kündigungen und Neubesetzungen. Das könnte in eine richtige Krise führen.
Die Ursache dafür könnte jedoch auch an völlig anderen Gründen liegen. Markteinbruch, grundlegende Marktveränderungen, schlechte Produktqualität, Ende des Produktlebenszyklus, mangelnde Innovation, Serviceprobleme, elegantere Lösungsszenarien von anderen Anbietern, Preisprobleme, etc.
Solche Geschichten höre ich ab und an auch im IT / Systemintegrator Umfeld. Ergeben diese Geschichten Sinn? Schneller Sprung vom „Problem“ auf die „Lösung“?
Nun, das lässt sich so nicht so leicht beantworten. Doch es zeigt eine Charakteristik auf, die ich häufig erlebe. Im gewissen Sinn, leider auch bei mir selbst. Dazu später mehr.
Vorab dazu ein kleiner Auszug aus dem Buch von Andreas Krebs und Paul Williams – „Die Illusion der Unbesiegbarkeit„, Gabal Verlag. Lesenswert.
Ein dauerhafter Unternehmenserfolg hat 4 Merkmale (behaupten Probst und Raisch aus Genf. Sie durchforschten 100 der größten Unternehmenskrisen und werden so zitiert):
- Starkes Wachstum
- Bereitschaft zur permanenten Veränderung
- Eine starke (visionäre) Führung und
- eine leistungsorientierte Unternehmenskultur
70 % der scheiternden Unternehmen besaßen all das – jedoch im Übermaß. Z.B. hektische Veränderungsprozesse, starrsinnige CEO’s und eine überzogene Erfolgskultur.
Die restlichen 30 % der Unternehmen, so Probst und Raisch, scheitern an Trägheit, wenig entscheidungsfreudiger Führungskräfte und Innovationen werden versäumt.
Lassen uns diese Punkte so sehr sicher sein; oder ist es unsere Trägheit, die Wahrnehmung, Analyse und Handlungen verhindern?
Was ist Ihre Einschätzung?
Rückblickend lässt sich sicher vieles erklären. Da sind wir meist ganz schlau. Ob Erfolgsgeschichten oder Krisenunternehmen.
Bei den Punkten zum „dauerhaften Unternehmenserfolg“ fehlt aus meiner Sicht, ein ganz wichtiger Punkt: Organisationen brauchen Glück. Das fehlt häufig in der Erwähnung von Erfolgsfaktoren. Verständlich, denn das kann ich nicht über ein Konzept erzeugen und verkaufen.
Doch auch diese Erkenntnisse liefern nur vage Ansatzpunkte. Wann und woran merkt ein Unternehmen, dass es in Richtung „Scheitern“ geht?
Aus meiner Sicht gibt es daher ein großes Dilemma. Wie können erste Anzeichen von ernsthaften Problemen und Herausforderungen überhaupt wahrgenommen werden und die Organisation gleichzeitig engagiert und erfolgreich im Bewältigen des Arbeitsalltags mit all seinen bekannten großen und kleinen Herausforderungen sein? Das ist, finde ich, nicht leicht.
Hindernisse können sein:
- Das Alltagsgeschäft kostet soviel Energie, dass mögliche kritische Probleme gar nicht wahrgenommen werden, bzw. diese somit schnell verdrängt werden, weil es wichtigere Themen gibt.
- Im Alltagsgeschäft gilt häufig unbewusst, dass der bisherige Erfolg weitergeführt werden kann, wenn einfach so weitergearbeitet wird, wie bisher. Es wird mehr vom „Gleichen“ gemacht.
- Dann haben die wenigsten Organisationen die Zeit und Räume, mögliche Probleme wahrzunehmen und gründlich zu analysieren. Falls doch, darf kritisch quer gedacht werden?
- Dazu kommt das menschliche Denken in „Heuristiken“. Meist werden die erstbeste Erklärung und ein bekannter Lösungsansatz gewählt, um das Thema zu lösen. Die leichte und schnelle Verfügbarkeit von sowohl Erklärung als auch Lösung, werden mit einfach „richtig“ wahrgenommen (Verfügbarkeit-Heuristik). Ich habe auch das Buch von Daniel Kahneman gelesen und nutze die Ideen daraus häufig in Coachings und Moderationen. Bei anderen entdecke ich die „Denk-Fallen“ häufiger.
- Die Geschäftsführung will nach meiner Meinung meist auch andere Meinungen hören; wir tendieren mit unserer Meinung der Gruppenmehrheit zu folgen.
Sicherlich gibt es noch eine Reihe von weiteren Hindernissen, um kritische Probleme und Herausforderungen nicht wahrzunehmen und unzureichend zu analysieren.
Bei mir persönlich fällt mir (manchmal) auf, dass ich bei Problemen oft schnell eine Erklärung habe (Verfügbarkeit-Heuristik). Ich weiß natürlich (manchmal), dass das „Denk-Fallen“ sein können. Doch meist funktionieren sie gut für uns. Wir wären überfordert und wenig handlungsfähig, wenn wir bei jedem Thema, eine tiefer gehende Analyse machen würden und uns hinterfragen. Bei mir selbst entdecke ich „Denk-Fallen“ weniger gut.

„Woher sind wir uns in unserer Meinung so verdammt sicher, geht dann unter?“ (*) Bild Quelle Adobe Stocks
Ein Beispiel dazu: Ein Abteilungsleiter weicht den nächsten Workshop Terminen aus. Er hat immer gute Gründe, warum Termine verschoben werden. Ich selber habe auch genug zu tun und akzeptiere das. Sind ja seine „Workshop Termine“. In einer Supervision (Ich sorge meist für Strukturen und Zeit, um Themen zu hinterfragen.), kommt die Frage auf, ob ich nicht 5 Mal hintereinander „Warum“ gefragt habe, um mehr zu hinterfragen und so Themen zu finden, die dem Abteilungsleiter nicht bewusst sind und ich vielleicht besser unterstützen kann. Das tat ich dann und es zeigte sich, dass so ein größeres organisatorisches Thema, nicht offizielles Thema, sein durfte. Ein Tabu.
Warum ist das so, dass der Termin verschoben wird? Warum ist das wichtig? Warum ist das zeitnahe stattfinden des Workshops wichtig/nicht wichtig? Warum wäre das Thema hinter dem Thema ein Problem? Warum?
Dieses „Warum“ möchte ich um folgende Fragen für eine bessere Analyse ergänzen:
- Wer in der Organisation nimmt ein Problem wahr? Aus welcher Interessenslage und Perspektive? Welche Annahmen stecken dahinter?
- Wie wird das Problem oder die Herausforderung erklärt? Welche Perspektive wird dadurch sichtbar? Welche fehlt? Wer gewinnt, wer verliert bei dieser Erklärung?
- Warum ist es ein Problem? Warum ist die Erklärung zutreffend? Warum? …Warum? … Warum?
- Wofür ist das Problem gut oder was ist das Gute im Schlechten?
- Wie lässt sich verifizieren, dass Problemdefinition, Erklärung und Verbesserungsidee stimmig sind?
- Warum gibt es nur eine Meinung in der ersten Führungsebene oder in Teams zu dem Thema?
- Wie sehr tauchte das Problem schon auf und wie häufig war der Lösungsansatz ähnlich (unwirksam)?
- Wie sehr wird das Problem „personalisiert“ statt auch Ausrichtung, Zielkonflikte zwischen Abteilungen (Silos), Strukturen und Prozesse als Ursache in Betracht zu ziehen?
- Wie viele unterschiedliche Meinungen gibt es zur Problemdefinition, Erklärungen und Lösungsansätze?
Sicher gibt es noch viele weitere Fragen dazu. Es braucht ein gutes Timing und einen Raum um diese Fragen zu stellen und kritisch zu durchdenken.
Sicher ist für mich auch, dass Organisationen in der heutigen Zeit eine gute Balance von Routinetätigkeiten und Raum für „neue Wege gehen“ haben müssen. Z.B. auch neue Wege bei der Problemanalyse und für Erprobungen.
Die Auslastung von Führungskräften und Leistungsträger darf nicht über 90 % liegen. Sonst bleibt keine Zeit für kritische und tiefer gehenden Fragen und Analysen. So kann eine startende kritische Problematik nicht erkannt und Handlungsoptionen nicht entwickelt und erprobt werden. Das wäre schade. Sonst kann die neugierige Frage: „Woher wissen wir das eigentlich?“ gar nicht auftreten.
Ein weiteres Tool zu Generierung von mehr Fragen, was mir gefällt, finden Sie hier von MWonline (Johannes Thönnessen). Da finden Sie immer wieder gute Beiträge und hilfreiche Ideen und Werkzeuge.
„Wir sind es gewohnt, ein Problem in eine Frage zu kleiden und uns dann auf den Weg zur Lösung zu machen. Aber vielleicht haben wir noch gar nicht die richtige Frage gestellt. Diese Technik hilft, unsere Sichtweise auf eine Situation zu erweitern.
Die Übung ist einfach: Nach der Formulierung des Problems werden die Teilnehmer gebeten, viele Fragen zu stellen – und zwar ausschließlich Fragen. Dazu bilden Sie Kleingruppen aus drei bis fünf Personen und geben den Rahmen vor: Entweder eine bestimmte Zeit – „Sammeln Sie 10 Minuten lang so viele Fragen wie möglich“ – oder eine Anzahl – „Jedes Team sammelt 45 Fragen“.
Die Fragen werden wörtlich auf ein Flipchart geschrieben, sie werden nicht diskutiert oder kommentiert. Wenn jemand eine Feststellung tätigt, bitten Sie ihn, diese in eine Frage umzuformulieren.
Auf diese Weise werden Aspekte einer Situation beleuchtet, die vermutlich sonst nicht zur Sprache kommen würden. Und wer weiß – vielleicht enthält die eine oder andere Frage auch schon die Lösung des Problems.
(aus: Carl Naughton / Isabel De Paoli / Todd Kashdan – Der Neugier auf der Spur.Harvard Business Manager 4/2018 S.45)“
Zusammen mit Olaf Hinz bieten wir „agile Praxisberatung für Change Agents & Veränderungsmanager“ an.Wenig Theorie und viel Praxis zu Veränderungsvorhaben, bzw. Change Management sind unser Angebot. Der Kontext kann Digitalisierung, Automatisierung, agile Organisationen, Lean Management, etc. sein. Zusammen mit Ihnen besprechen wir Ihre Fragestellungen und entwickeln mit Ihnen neue Perspektiven sowie Handlungsmöglichkeiten.
Hier finden Sie Raum und Zeit für Ihre Praxisthemen. In einem offenen Umfeld im Herbst in Hamburg und Nürnberg oder individuell in Ihrer Organisation. Wir freuen uns.
Einstein sinngemäß:
Wenn ich 60 Minuten habe, um die Welt zu retten, würde ich 55 davon auf die Betrachtung des Problems verwenden.
Die Führungskräfte, mit denen ich zu tun habe, wollen gerade das andere aufgezeigt bekommen.
Manche von ihnen sagen:
„Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen – nicht notwendig in der Mitte.“
Ich bin mir sicher, einer Wahrnehmungsverzerrung zu unterliegen.
Mit „den anderen“ arbeite ich nicht zusammen – Auto-Selektion.
Ein paar Worte zu Merkmalen:
In der hier zitierten Form sind „Merkmale“ brandgefährlich.
Das Merkmal wird nicht unterschieden nach Ursache, Wirkung und dem Zusammenhang dazwischen.
Und zu „Wachstum“:
Dieses Merkmal ist losgelöst vom Handlungs-Kontext und abstrahiert auf ein ganzes Unternehmen, verbunden mit dem unbestimmten Adjektiv „stark“ an der Grenze zum Bullshit.
Vielleicht sogar schon drüber hinaus?
Wachstum erfolgt nicht linear, sondern exponentiell in der Zeit.
Mit zunehmender Marktreife und Sättigung flacht die Wachstumskurve ab.
Wachstum und dessen Stärke darf daher nur auf einer Zwischenebene zwischen Handlungssegment des Unternehmens, seinem Produktportfolio und dem innewohnenden Entwicklungsfortschritt betrachtet werden. Orientierung darüber, wo dieses Handlungssegment sich aktuell befindet, gibt nur das Verhältnis zum Marktumfeld – der Gesamtkontext.
Beispiele?
Apple – iPhone hatte vor 10 Jahren viel Potenzial und bereitete erst den Markt für SmartPhones. Vor etwa 5 Jahren wurde der geschäftliche Zenit sichtbar. Seither sind die Fortschritte marginal im Vergleich zum Zeitraum davor. Und heute – iPhone X … naja.
AMZN bei Gründung vor 20 Jahren … vor 10 Jahren kam AWS dazu … heute … in 10 Jahren?
Usw. usf.
Ach, eins noch …
Ich halte 90% Auslastung an sich bereits für gefährlich, weil „über-optimal“.
Alles jenseits von 85% führt mathematisch beweisbar zu Engpässen an anderer Stelle.
Ich halte es eher mit den Empfehlungen vom Kollegen Krause:
http://www.agil-inform.com/2015/04/engpass-warteschlange-auslastung/
Vor kurzem durfte ich an einem FK-Workshop teilhaben.
Der Betrieb produziert IT-gestützt Datensätze, indem sie durch Menschen veredelt werden.
Dort identifizierten die Führungskräfte folgende Zeitkorridore für sich, die „mittlere Ebene“:
Kernarbeitszeit: 80% der verfügbaren Gesamtzeit (die Prozesse sind stark ineinander verwoben)
1. Produktion – Tagesgeschäft: bis 9:00
2. Teamentwicklung: 9:00 -11:00
3. Organisationsentwicklung (aktuelle Zusammenarbeit; inkl. Mittagspause): 11:00 – 13:00
4. Projektarbeit: 13:00 – 15:00
Die Umsetzung steht jetzt zur Verprobung an.
Ich bin zuversichtlich, dass sich dieses Muster dort verfestigen wird.
Die Grundzüge wurden von zwei Teams, unabhängig voneinander aber stark ähnlich erarbeitet. In den Teams war „alles“ frei verteilt – jung, alt, Sachgebiete, Führungserfahrung von kurz bis lang, agiles Mindset von Anfänger bis erfahrene Praktiker.
Die Tatsache, dass zwei recht heterogene Teams zu ähnlichen Ergebnissen kamen, deutet für mich darauf hin, dass sie dem Wesenskern der Herausforderung maximal nahe gekommen sind. Soweit, wie man in unter zwei Stunden Bearbeitungszeit kommen kann.
Meine Aufgabe war dann „nur noch“ die Gemeinsamkeiten zu identifizieren, zur Abstimmung zu stellen und die Offenheit der Regelung zu schützen.
Jeden Wunsch nach fixierten (kodifizierten) Ausnahmen konnte ich Abwehren mit dem Hinweis darauf, dass jede Festlegung dann auch eine formale Änderung durch das gesamte Gremium erfordert.
Es stellte sich heraus, dass die vermeintlichen Regelausnahmen eigentlich nur der Wunsch nach Konkretisierungsbeispielen waren, die wir in großer Runde exemplarisch ausverhandeln konnten.
Da war es sehr hilfreich, dass die Geschäftsleitung anwesend war und Stellung beziehen konnte. Von der Vertreterin der Produktionsleitung stammt ein bemerkenswerter, dazu passender Satz aus früherem Zusammenhang.
„Wenn ich Ihnen jetzt sage, wie es geht, dann meißeln Sie das in Stein.
Die Situation wird sich ändern, aber der Stein bleibt.“
Ich habe hieraus zitiert:
http://commodus.org/konkret