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„think-limbic“ für Top-Verkäufer und Führungskräfte – Warum Sie nicht darauf reinfallen sollten?

Juni 15, 2015

Aus einer Buchbesprechung, die ich mw-online zur Verfügung gestellt habe. Titel: Top-Seller – Was Spitzenverkäufer von der Hirnforschung lernen können. Von Hans-Georg Häusel. Erschienen im Haufe-Verlag. 

Als Berater und Coach arbeite ich auch mit Vertriebsleitern und Top-Verkäufern im B2B zusammen. Daher interessierte mich dieses Buch, welches die Brücke von der Hirnforschung zu den Phasen des Verkaufsprozesses aufzeigen will, sehr. Neugierig las ich: „Vor ca. 15 Jahren habe ich auf Basis der Hirnforschung den Limbic-Ansatz entwickelt. Er gilt heute als wissenschaftlich fundierteste Ansatz, Kauf- und Entscheidungsverhalten zu erklären.“ Leider wird nicht verraten, welche anerkannten Wissenschaftler und/oder Institute das auch so sehen.

Der Limbic Ansatz verspricht zu wissen, welche Emotionssysteme es im Kopf des Verkäufers und Käufers gibt und wie diese konkret mit dem Käuferverhalten zusammenhängen, d.h. welche Kaufknöpfe es im Kundengehirn gibt und wie diese trickreich gedrückt werden können. Die identifizierten Emotionssysteme bilden die Basis unserer Persönlichkeit. Sie bestimmen uns unbewusst. Es wird dem Leser ein unvoreingenommener Blick in den Spiegel durch einen kostenlosen Limbic-Persönlichkeitstest versprochen. Wenn Sie diesen absolvieren, (8 Fragen!!), dann erfahren Sie Ihr ganz persönliches limbisches Persönlichkeitsprofil.

Es gibt danach das Balance-System (Stabilität, Verlässlichkeit, Treue), das Harmonie-System (Menschlichkeit, Wärme, Nähe), das Dominanz-System (Wachstum, Leistung, Durchsetzung) und das Stimulanz-System (Innovation, Neue Wege, Veränderung) jeweils mit geringer, mittlerer oder höherer Ausprägung. Diese Emotionssysteme bestimmen unbewusst unser Verhalten, unsere Werte und unsere Ziele.

Dann werden 4 Verkäufer-Typen nach diesen „limbischen Ansatz“ vorgestellt:

  1. Der Hard-Seller (hohe Ausprägung des Dominanz-Systems). Bei ihm leuchten schon morgens beim Aufstehen die Dollar-Zeichen in den Augen. Er setzt sich klare Ziele und zieht seinen Plan eisern durch.
  2. Der Korrekte (hohe Ausprägung des Balance-Systems) ist zuverlässig und berechenbar. Das ist die Basis für Vertrauen und sorgt für nachhaltigen Erfolg.
  3. Der Kunden-Versteher (hohe Ausprägung des Harmonie-Systems) ist warmherzig und einfühlsam.
  4. Der Kunden-Begeisterer (hohe Ausprägung des Stimulanz-Systems) ist kontaktfreudig und neugierig.

Dann folgen analog die Beschreibungen der vier Kunden-Typen (Performer, Bewahrer, Harmonie-Sucher, Neugierige) mit einer Art Gebrauchsanweisung (Formulierungen und Zauberwörter), um direkt ins Herz des Kunden zu verkaufen. Die Emotionssysteme im Gehirn des Kunden bestimmen ja unbewusst seine Motivation, was sie gut finden und was ihnen wichtig ist. Also gilt es an Hand der Beschreibungen der 4-Kunden Typen Zauberwörter und Formulierungen zu finden. Hierzu einige Beispiele: Zauberwörter, die der Harmonie-Sucher gerne hört: einfach, bequem, herzlich natürlich, …
Formulierungen, die der Performer gerne hört: leistungsstärkste Produkt seiner Klasse, ganz schnell, nur für ausgesuchte (VIP-)Partner …

Im Anschluss werden dann viele Tipps, wie sich der Top-Verkäufer trickreich im Verkaufsprozess bewegt und die unbewussten Kaufknöpfe drückt, gegeben. Dann folgen hirngerechte Tipps in Bezug auf Verkaufssituationen:

  • „Junge Kunden lieben alles, was neu ist und Individualität verspricht.“
  • „Wenn Sie komplexe Produkte (im B2B) an ältere Kunden verkaufen: Sprechen Sie deutlich und zeigen Sie etwas Geduld.“
  • „Tun Sie im Gespräch mit der Sekretärin so, als ob Ihr Ansprechpartner sie bereits kennt.“
  • 2Wiederholen Sie öfter und mit gleichen Worten, was Ihr Kunde gesagt hat.“
  • „Mit Ihrem Lächeln setzen Sie das Vertrauenshormon Oxytocin im Kundengehirn frei.“
  • „Versetzen Sie Ihren Kunden durch Zauberfragen in seine Wunschwelt und damit in den Gute-Laune-Modus.“
  • „Wecken Sie das Belohnungssystem im Kundengehirn nicht: Gewähren Sie möglichst keinen Nachlass.“

Diese Tipps sind mit Erkenntnissen aus der Hirnforschung unterlegt. Das klingt für mich sehr vereinfachend. Irgendwie kommt es mir vor, als ob aus der Hirnforschung passende Ergebnisse gefunden und im Kontext von Vertrieb zu einer einfachen „Limbic Story“ verarbeitet wurden. Das kommt aktuell wohl gut an. Interessant sind auch die vielen positiven Rezensionen zu ähnlichen Veröffentlichungen. Angeblich wird der Limbic-Persönlichkeitstest und dessen Deutungen, wie oben skizziert, sogar bei Bewerbungen genutzt.
Das ist allerdings nicht nur schlimm, sondern ist völlig verrückt, finde ich. Wir Menschen sind deutlich komplexer in Bezug auf unser Denken und Handeln. Die PSI-Theorie, als ein Beispiel einer anerkannten wissenschaftlichen Theorie, nach Julius Kuhl unterscheidet beispielsweise eine „Erst- und eine Zweitreaktion“; sie macht deutlich wie wichtig der Kontext ist, in dem Denken und Handlungen stattfinden und welchen Einfluss dabei das aktuelle Belastungs- und Stressempfinden hat. Es werden bewusste und unbewusste Motive herausgearbeitet.

Julius Kuhl betonte auch in einem Workshop, den ich besuchte, dass jedes Testergebnis nie Wahrheit, sondern stets Ausgangspunkt zum Dialog mit Klienten ist. Der PSI Test dauert ca. zwei Stunden. Danach haben Sie viele Fragen. Den „Limbic Persönlichkeitstest“ machen Sie in ca. 6 Minuten. Das Versprechen: Darüber lernt der Top-Verkäufer seine Persönlichkeit, seine Stärken und Schwächen kennen.

In dem Buch fehlen Angaben zu empirischen Studien. Auch im Internet habe ich keine Hinweisen zu Studien gefunden, die die Thesen und vor allem den Persönlichkeitstest wissenschaftlich belegen. Ich vermute mal, es gibt auch keine Studien, die wissenschaftlichen Kriterien (Stichprobengröße, innere Konsistenz, Korrelationskoeffizienten zur Retest-Reliabilität, Höhe der Kriteriumsvalidität sowie Konstruktvalidität) standhalten können.

Persönlichkeitstests, die auf Typologien setzen, gelten in der wissenschaftlichen Forschung als absurd. Interessanterweise kommt das Buch aus dem Haufe Verlag. In einer Kolumne des Verlages zum Thema Wirtschaftspsychologie schreibt Prof. Dr. Uwe P. Kanning deutlich darüber, was er von solchen Tests hält: „Die Unsinnigkeit von Typologien. Link:
https://www.haufe.de/personal/hr-management/psychologie-kolumne-sinnlose-typologien_80_212680.html

Wer Interesse an einem validen Testverfahren hat, kann sich auch mit dem BIP (Bochumer Inventar zur berufsbezogenen Persönlichkeitsbeschreibung) beschäftigen. Wer Interesse an wissenschaftlichen Erkenntnissen der Hirnforschung hat, dem sei das Buch von Daniel Kahneman „Schnelles Denken, langsames Denken“ wärmstens empfohlen. Die Ergebnisse werden dort allerdings nicht generalisiert und vereinfacht.

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